Zum filmischen Konzept
„Der Bauer zu Nathal“ sucht nach Fußabdrücken des Dichters Thomas Bernhard in dessen Heimatgemeinte, dem kleinen oberösterreichischen Ort Ohlsdorf bei Gmunden. Ohlsdorf kam unverhofft in die Rolle eines weltweit bekannten Bernhard-Ortes. Diese Zwangsbeglückung ist auch heute noch spürbar – organisch einverleibt hat sich die Gemeinde den großen Sohn noch immer nicht. Die Bevölkerung pendelt zwischen Wertschätzung, Ablehnung und Ignoranz. Heute ist Thomas Bernhard durch Lesungen, Aufführungen oder an Erinnerungsstätten in Ohlsdorf präsent.
Ohlsdorf ist ein Mikrokosmos, der verdeutlicht, wie Menschen mit Kunst leben und umgehen. Von der offiziellen Literaturszene wurde Bernhard längst rehabilitiert und kanonisiert. Für Ohlsdorf bedeutet das, dass jede Anstrengung, Bernhard sichtbar zu machen, von – meist urbanen, akademischen Hütern des Bernhard-Bildes kritisch bis missmutig betrachtet wird. Nicht nur die Bewohner, auch das offizielle Ohlsdorf, hadert mit also mit dem Erbe des Dichters.
Es geht um größtmögliche Konstrastierung: Wo die Ohlsdorfer, die mitunter noch kein Buch von Thomas Bernhard kennen, mit den sich auf wissenschaftlicher oder künstlerischer Ebene befassenden Personen aufeinander treffen, entsteht Reibung, Abneigung, mitunter aber auch Esprit. Diese Wechselwirkung aus Lebensalltag und Kunstannäherung will der Film einfangen, weil sie auch ein integraler Bestandteil der Literatur Bernhards ist; der Schriftsteller hat in zahlreichen Werken über ganz alltägliche Begebenheiten seiner Lebensumgebung geschrieben, oder sich inspirieren lassen, um sie später in seinen Texten als Überhöhung, als Kontrast, als Stoff zur Erregung zu nutzen. Genau diese Kontraste sind es, die auch in der Auseinandersetzung mit Bernhards Werk bis heute bestehen.
Fast 30 Jahre nach dem Tod Thomas Bernhards erzählt der Film vom Umgang der Gemeinde und ihrer Bevölkerung mit dem Dichter und seinem oft schwierigen Erbe. Ohlsdorf ist deswegen besonders interessant, weil es ein von Bernhard selbst gewähltes Biotop ist, das mit den Nachwirkungen seiner Kunst leben muss. In persönlichen Begegnungen reflektieren einstige Befürworter und Gegner des „großen Sohnes“ der Gemeinde über den Einfluss Thomas Bernhards, seine Integration ins Gemeindeleben und die Lektionen die Ohlsdorf und seine Bewohner aus dem Aufprall des Dichters in ihrer Gemeinde gezogen haben. Der Film möchte eine Stimmungs-Collage sein, die durch den Ort führt und die Rezeption Bernhards in Ohlsdorf beobachtet. Er handelt von Ohlsdorf als typisch österreichischem Biotop und seinem – mutmaßlich sorglosen – Umgang mit der Schönheit von Landschaft und Kunst.
Thomas Bernhard, seine Ansichten und seine aktuelle Rezeption werden dem aktuellen Alltag in seiner ehemaligen Heimatgemeinde gegenübergestellt und Ohlsdorf wird mit seinem nicht immer geliebten „großen Sohn“ konfrontiert. Der Film versucht so, Brüche und Kontinuitäten in der Auseinandersetzung mit Bernhard zu verdeutlichen.
David Baldinger & Matthias Greuling